Samstag, 30. März 2024

Verantwortung übernehmen Teil 2

Im letzten Beitrag ging es um "herausforderndes Verhalten" und die Notwendigkeit dies als Ausdruck für Probleme oder "Missstände" in einem System zu erkennen und diese neu zu gestalten, damit das Verhalten sich auflösen kann.

Heute geht es darum, was ein solches Verhalten eigentlich in uns auslösen sollte: nämlich still zu werden.

Und genau das passiert selten. Prinzipiell reagieren wir, in einer von uns gelernten Art, auf "Fehlverhalten". Wir reagieren meist unbewusst und im jeweiligen Überlebensmodus, in den uns unser Nervensystem (weil Gefahr/Angriff droht) versetzt. 

Doch um sinnvoll, professionell und beziehungsförderlich auf ein solches Verhalten zu reagieren, ist es wichtig, dass du lernst eine Pause zwischen den Reiz und deine Reaktion zu schieben. Diese Pause gibt es bereits. Doch sie ist meist so kurz, dass wir ihn gar nicht so recht mitbekommen und stattdessen unsere Emotionen übernehmen lassen.


Ein Beispiel: 
Du bist in deinem Raum und gehst einer Aufgabe nach, als du im Flur einen Streit lauter werden hörst. Du erkennst nach kurzer Zeit die Stimmen der Kinder und dass der Streit nicht geklärt wird, sondern immer heftiger wird. Also läufst du in den Flur und kommst genau in dem Augenblick in die Situation, in der ein Kind, das an der hinteren Wand steht, das andere Kind zu Boden stößt. Du folgst weiter deinem Impuls und spürst, wie du bereits wütend geworden bist und schimpfst laut, dass "hier nicht geschubst wird!" Der Impuls weiter zu schimpfen, all deine angestaute Wut über die Situation, über die Tatsache, dass es wieder genau dieses Kind war, was sich prügelt und dein Entsetzen darüber, dass das andere Kind am Boden liegt, möchtest du gern ungehindert rauslassen. Natürlich erwachsen. Du bist ja im Job, deshalb musst du etwas gedämpfter sein. Aber diese Gefühle in dir brodeln an die Oberfläche und du schimpfst, bist fokussiert auf den vermeintlichen Angreifer und bäumst dich vor ihm auf...
 
UND genau da ist der (späteste) Punkt bereits überschritten, an dem du eigentlich ganz still werden müsstest. Spulen wir noch mal ein paar Sekunden zurück, als du in den Flur kommst und dich zu dem am Boden liegenden Kind wendest. Das ist der Moment, in dem du überprüfen solltest, in welcher Verfassung sich welches Kind befindet und wie es in dir selbst aussieht. Damit ist nicht nur die körperliche Verfassung, sondern auch die mentale und emotionale gemeint. In einer so hoch aktivierten Situation können wir nicht erwarten, dass der Streit ausschließlich verbal abläuft. Deshalb könnte es in der akuten Situation absolut ausreichen zu sagen, dass der Streit an dieser Stelle unterbrochen ist und jeder erstmal wieder zu sich kommen muss. Erst dann kann die Situation "vernünftig" geklärt werden. (Dazu später mehr!)
Um das wirklich gut zu schaffen wäre es sogar schon sinnvoll gewesen, zu spüren, dass allein das Hören eines Streits im Flur, aber spätestens das Erkennen, wer da streitet, in dir etwas auslöst, was deinen "Kampfimpuls" (autonomer Überlebensmodus) aktiviert. Du könntest deine Gedanken hören: "Immer dieser Junge, der prügelt sich gerade immer zu. Das kann doch nicht wahr sein!" Du könntest spüren, dass sich deine Muskeln anspannen und dein Atem und dein Herz schneller gehen. Du könntest erkennen, dass du dich wirklich nicht mehr auf den Raum konzentrieren kannst, in dem du bist, weil du gedanklich schon einschreitest. 
Wenn du all das gespürt und erkannt hättest, dann könntest du für deine Interpretationen und Gefühle, sowie Körpersignale Verantwortung übernehmen und dich "rasch" wieder regulieren, damit du wirklich wach in die Situation auf dem Flur gehen kannst. Denn dein Gehirn wäre dann nicht ebenfalls von Emotionen geflutet und würde dich deutlich kontrollierter handeln lassen. Du könntest professionell in den Streit eingreifen und den Kindern helfen, wirklich effektiv etwas anders zu machen. Anstatt durch Nichtwissen und Spekulieren aufgebracht und voller Emotionen Partei zu ergreifen und deinen Frust rauszulassen. Denn damit ist am Ende nichts gewonnen. Mehr noch sind Vertrauen, das Gerechtigkeitsgefühl und die Integrität zumindest des schubsenden Kindes verletzt. Was zu weiterem "Fehlverhalten" führen kann.
 
Doch ist dieses Spüren in der Akutsituation oft nicht so leicht und bedarf einiger Übung.
Ein wichtiges Mittel ist deshalb die REFLEXION! 
Im Nachgang erforschen, wie du mit der Situation umgegangen bist. Ob du so reagieren wolltest. Was du erlebt hast....eben Verantwortung für dein eigenes Verhalten übernehmen. Denn für deine Gefühle und Emotionen ist nie jemand anderes verantwortlich als du selbst. Denn es sind deine Bewertungen, alten Muster und Glaubenssätze, die dich anders reagieren lassen, als du es wolltest oder (im Sinne gelingender Beziehungen) solltest.
 
Im Fall des Beispiels aus dem letzten Beitrag könnte das heißen: 
Anstatt sich von den Forderungen und dem Verhalten der Eltern verunsichern zu lassen, hätten die Fachkräfte (auch nach der ersten oder auch 10. Situation, denn dafür ist es nie zu spät!) sich überprüfen können:
 
- Was machen die Forderungen und das Verhalten der Eltern mit mir/ uns?
- Empfinde ich mein Verhalten in der Situation als richtig oder spüre ich eigentlich, dass sich in mir etwas dagegen wehrt?
- Warum reagiere ich so, obwohl ich es (in der Situation und/oder danach) als nicht richtig empfinde?
- Habe ich den Eltern klar gemacht, was meine/ unsere Aufgaben sind? 
- Ist ihnen klar, wie ihre Art bei mir/ uns ankommt? Und ist ihnen klar, dass ich das als unangemessen empfinde?
 
Ihnen hätte auffallen können, dass sie das Verhalten der Eltern verstärken, in dem sie den Forderungen (widerwillig) nachgeben und nicht auf ihre Grenzen achten.
 
Und noch einmal möchte ich betonen, dass es nicht darum gehen soll, das Verhalten der Eltern zu entschuldigen. Aber es MUSS darum gehen, welchen Beitrag alle Seiten dazu leisten, damit die Situation so verlaufen kann, wie sie es in diesem Team tat. 
 
Die Fachkräfte könnten damit vieles für sehr viele leichter gestalten, wenn sie sich solchen Fragen stellen würden. Doch leider ist das bisher eher die Ausnahme, die mir in der Praxis begegnet. Öfter erlebe ich zwei Fronten, zwischen denen die Kinder in einen Loyalitätskonflikt kommen und ebenfalls zu Verhaltensweisen greifen müssen, die die Erwachsenen in diesem Spiel herausfordern können. Wir sind Vorbilder dafür, wie zwischenmenschliche und selbstfürsorgliche Beziehungen funktionieren. Die Frage bleibt also, was die Kinder dieser Gruppe aus dem Verhalten aller Erwachsener lernen werden. 

Fazit bleibt: 
- Wir alle dürfen wieder mehr spüren, wie es uns in unterschiedlichen Situationen geht.
- Wenn wir es schaffen, kurz inne zu halten (oder wenigstens nachträglich darüber zu reflektieren), dann haben wir eine Chance, eine wirkliche Entscheidung zu treffen. All das bedarf Übung und Nachsicht mit uns selbst.
- Es bedarf aber auch der verinnerlichten Erkenntnis, dass uns Dinge nicht einfach "passieren", sondern dass jeder innerhalb eines Systems einen Beitrag dazu leistet, wie die Atmosphäre ist. Das passiert nicht immer direkt. 
 
Die gute Nachricht daran: genauso können wir auch Einfluss darauf nehmen, dass sich Dinge im System zum Positiven verändern.
 

Freitag, 29. März 2024

Verantwortung für "herausforderndes Verhalten" Teil 1



Warum fällt es uns oft so schwer bei uns zu bleiben? Nicht andere verändern zu wollen, sondern die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass ein Verhalten auftritt und nicht (ausschließlich)den Verhaltenden verändern zu wollen?

Es geht ja nicht darum, dass wir "Mitschuldige" sind.

Es geht um Verantwortung und verstehen wollen.

Mir wurde vor einigen Tagen von grenzverletzendem Verhalten durch Eltern gegenüber Fachpersonal erzählt. Die Fachkräfte regten sich anschließend heftig über das Verhalten der Eltern auf. 

Doch betrachten wir die Situation von außen, dann fällt auf, dass die Fachkräfte dieses Verhalten durch ihr eigenes Verhalten massiv unterstützt haben.

- Kein Abgrenzen gegenüber der gegenstandslosen Forderungen der Eltern. 

- Keine klare Orientierung für die Eltern. 

Sondern stattdessen wurde nach den Forderungen gehandelt, sogar bereits zum wiederholten Male und mittlerweile schon, bevor die Eltern überhaupt in der Nähe waren. 

Die Fachkräfte haben dem Verhalten eine Plattform gegeben. Das schmeckt natürlich niemandem. Schließlich "fehlt den Eltern doch der Respekt". "Die verhalten sich doch völlig daneben!"

Ich betone nochmals, dass es nicht um Schuld geht, sondern darum Verantwortung zu übernehmen.

Samstag, 23. März 2024

Kennst du deine Grenzen?

 Egal womit ich mich beschäftige, es endet immer wieder bei mir. Und es beginnt immer wieder bei mir. Das ist meine wohl wichtigste Erkenntnis in den letzten Jahren. Und deshalb möchte ich dir heute von etwas berichten, das sehr persönlich ist. Von dem ich aber weiß, dass es viele Menschen betrifft, die mit Kindern leben und/ oder arbeiten.

Mein wohl umfassendstes Thema ist „gelingendes Leben“. Und so sehr ich tiefer eintauche in Literatur zum Thema, in meine eigene Biografie und Persönlichkeit, in meine Werte und Wünsche, es gibt eine Sache, die mich immer wieder überrennt: es fällt mir schwer Grenzen zu setzen und sie für andere überhaupt ersichtlich zu machen. Ich ärgere mich, wenn ich jemandem im Moment der Grenzverletzung nicht selbstsicher sagen kann, dass das zu weit ging. Es ärgert mich, wenn andere über mich entscheiden (manchmal, weil ich die Entscheidung nicht treffe). Und am meisten ärgert mich, dass ich das alles zulasse. Es ärgert mich, dass ich all das weiß und dennoch nicht schaffe, mich zu schützen. Thurid Holzrichter schreibt in ihrem Buch „Ich tue mir gut – Selbstfürsorge für ErzieherInnen“, dass wir in einem ersten Schritt herausfinden müssen, welche Schätze wir in unserem Inneren haben, damit wir verstehen, wie wichtig es ist, dass wir sie schützen. Damit wir etwas schützenswertes in uns finden.


Natürlich hat jeder Mensch etwas schützenswertes. Jeder Mensch muss unbedingt respektvoll und grenzwahrend behandelt werden. Darum geht es hier heute gar nicht und das steht für mich auch absolut nicht zur Debatte. Es geht mehr um die Diskrepanz zwischen dem was ich weiß und dem was ich fühle, bzw. wie ich mich im Alltag verhalte. Ich kenne viele meiner Stärken, meine Talente und meine Ressourcen im Innen und Außen. Ich weiß, was in mir wichtig, schön und schützenswert ist. Das alles habe ich in meinem „Wissensspeicher“ abgelegt. Daran kann es also nicht liegen, wenn ich selbst und anderen immer wieder erlaube über meine Grenzen zu gehen!

Es ist mein Unterbewusstsein, das in so vielen Momenten meines Lebens die Regie übernimmt. Mittlerweile habe ich gelernt es schneller zu erkennen, mich zu regulieren und mir mit immer mehr Güte zu begegnen. Doch tatsächlich gelingt mir das nur in einem Bruchteil der Momente.

Genauer gesagt, sind es meine Bindungsmuster und emotionalen Bedürfnisse, die dafür sorgen, dass ich das zulasse. Eines meiner wichtigsten emotionalen Bedürfnisse ist die Zugehörigkeit. (Deshalb ist das Thema Verbundenheit und Beziehung so wichtig in meinem Leben.) Doch leider habe ich als Kind eine Strategie gelernt, die genau aus diesem Bedürfnis ein Verhängnis für meine Selbstfürsorge macht. Ich habe die Erfahrung machen müssen (wie leider sehr viele andere Menschen auch), dass meine Umgebung mir meine Bedürfnisse und Empfindungen abgesprochen hat. Dass ich immer wieder die Information erhalten habe, dass ich entweder nicht richtig fühle, zu viel fühle/ will oder dass ich mich zurück nehmen muss, bzw. keine Wahl bekomme und es egal ist, was ich will. Ich konnte keine gute Beziehung zu meinem Fühlen, zu meinen Bedürfnissen und meinem eigenen Wert entwickeln. Meine Strategie war es, mich anzupassen, brav zu sein und „still zu halten“, um bloß keinen Beziehungsabbruch zu erleben. Dennoch schickte mir das Leben viele Beziehungsabbrüche und mein kindlicher Verstand suchte die Verantwortung nicht in den Erwachsenen und ihrer unfähigen Art des Umgangs, sondern in meinem Verhalten. Grenzverletzungen durften nicht öffentlich werden. Ob es dabei um mein emotionales Erleben ging, meine Wertvorstellungen, mein Vertrauen oder meinen Körper. Alles musste verschwiegen werden. Heute „kämpfe“ (es ist eher eine Art Tanz) ich damit, wieder fühlen zu lernen. Damit, meine Grenzen zu kommunizieren und sie immer häufiger direkt zum Ausdruck zu bringen. Aber auch anzunehmen, wann es noch nicht gut klappt. Ich habe einen wundervollen Partner, der mir sehr in diesem Prozess hilft. Und ich werde vom Leben immer wieder auf dieses Thema hingewiesen, im Privaten wie auch im Beruflichen. Ich weiß, ich bin nicht der einzige Mensch, dem es schwer fällt, die eigenen Grenzen zu wahren. Und ich weiß, dass dieses Thema essentiell für so viele Menschen ist und dafür ein „gelingendes Leben“ zu leben.

Meine Lebensaufgabe besteht also darin, meinen Wohlfühlbereich (->„Window of Tolerance“) zu finden und zu leben und andere Menschen darin zu begleiten, dies ebenfalls immer besser zu leben. Dafür habe ich die Beziehungsblumen entwickelt, die ich dir auf meinen Kanälen in nächster Zeit näher bringen will. Dafür gebe ich Seminare auf eine sehr persönliche Art und dafür schreibe ich Blogs. Mit dem Wunsch, dass wir lernen und den nächsten Generationen dabei helfen können gar nicht erst in dieses Dilemma hineinzurutschen. Das ist mein Herzensziel, und meine persönliche und be-rufliche Reise, auf der ich dich mitnehmen möchte.

Monatsrückblick April – Zwischen Kraft und Kontrollverlust

Der April war intensiv. In jeder Hinsicht. Er hat mich wachsen lassen – und gleichzeitig ordentlich durchgerüttelt. Ich habe gemerkt, wie se...